Sonntag, 20. Juli 2008

"Funktionstiere"

Der Begriff „Funktionstiere“, bzw. „Funktionsfische“ geistert seit ein paar Jahren durch aquaristische Newsgroups und Internetforen. Gemeint sind damit Fische oder Wirbellose, die in Aquarien irgendeine real erkennbare und erwünschte „Funktion“ erfüllen, oder von denen man wenigstens diese Eigenschaften erwartet. Unterstellt wird dann von den Kritikern, dass solche Tiere mehr oder weniger ausschließlich wegen ihrer „Funktion“ angeschafft / gehalten werden, aber eigentlich ja nicht um ihrer selbst Willen, „weil man sie mag“ oder gar „liebt“.

Die schon sehr früh als Funktionsfische bezeichneten Tiere finden sich in Literatur und Internetforen hauptsächlich in drei Gruppen: „Algenfresser“, „Schneckenfresser“ und „Futterresteverwerter“ („Müllschlucker“!). Von anderen wird selten gesprochen, aber sie werden ebenfalls nicht ganz selten „missbraucht“. Gemeint sind Fische, die überzähligen Nachwuchs bei produktiven Arten dezimieren. Oder „Futterfische“, bzw. „Futtergarnelen“. Noch seltener werden Fische genannt, die man zu Zuchtpaaren als „Feindfaktor“ setzt, damit diese ihre Brut besser bewachen und sich dabei mehr um die (bedrohten) Jungen kümmern.

Mit dem Vorwurf der Funktionsfischhaltung stellt sich automatisch und unweigerlich die Frage nach der Ethik in der Aquaristik. Und ebenso unweigerlich sind dann die Kritiker selbst in Erklärungsnöten, denn sie können nicht schlüssig erklären, warum ihre eigenen Fische gar keine Funktion haben. Ist es denn nicht so, dass sich Aquarianer Fische anschaffen in der unausgesprochenen Erwartung, dass diese ihre neuen Besitzer in irgendeiner Weise erfreuen, ihnen die Langeweile vertreiben oder ihnen gar als Statussymbol dienlich sind? Was ist mit Züchtern und Händlern, die auch noch materielle Vorteile erwarten?

Welche Gründe gibt es überhaupt, um sich für die Haltung irgendwelcher Tiere und insbesondere „Aquarientiere“ oder „Terrarientiere“ zu entscheiden? Bei „Streicheltieren“ ist die Lage wohl etwas anders. Aber welches Tier ist denn für die Aquarien- oder Terrarienhaltung „gemacht“? Im Wesentlichen dürften kaum mehr als folgende Gründe in Frage kommen:

  • Wir finden die Tiere schön.

  • Man findet ihr Verhalten (ihre Eigenschaften) interessant und eventuell nützlich.

  • Wir möchten durch ihre Haltung etwas über die Natur lernen.

  • Ihre Vermehrung bringt uns finanzielle Vorteile oder höheres Ansehen in bestimmten Kreisen.

  • Sie helfen uns, unsere Freizeit „sinnvoll“ auszufüllen. Anders ausgedrückt: Sie sind ein amüsanter, interessanter Zeitvertreib.

Macht man sich über Begriffe wie „Funktionstiere“ ernsthaft Gedanken, sollte man vielleicht auch einmal über den Begriff „Nutztiere“ nachdenken. „Funktionstiere“ erfüllen mehr oder weniger freiwillig ihre „Funktion“, weil sie unter anderem davon leben, auch wenn sie nicht „geliebt“ werden. Immerhin bekommen sie aber wenigstens eine Pflege, die ihnen ein einigermaßen sicheres und relativ langes Leben ermöglicht. Nutztiere werden dagegen grundsätzlich lebenslänglich regelrecht ausgebeutet. Am Ende der wirtschaftlich sinnvollen Ausbeutung (Nutzung) steht der sichere, meist frühzeitige Tod.


Garra rufa, die Rötliche Saugbarbe, bekannter unter dem Namen "Kangal-Fisch" hilft Patienten mit Schuppenflechte (Psoriasis). Gleichzeitig ist sie aber auch, wie viele andere Garra-Arten, sehr an Algennahrung interessiert. "Funktionstier" oder nicht - das wäre auch in diesem Fall zu fragen.

An der reinen Liebe, wie man sie z. B. Hunden, Katzen, Pferden, Zwergkaninchen usw. entgegenbringt, müssen bei Aquarien- und Terrarientieren durchaus Zweifel erlaubt sein. Insbesondere bei den Menschen, die kein Problem damit haben, in Sichtweite ihres Aquariums die Artgenossen ihrer geliebten Pfleglinge als Forelle blau oder Shrimp-Cocktail genüsslich zu verspeisen.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ein genialer Artikel - danke dafür.
Ein Funktionstier zu sein, kann Segen oder Übel gleichermaßen sein. Im einen Fall hätte man vielleicht das Glück als "Putzerfisch" in einem 2-Meter-Amazonasschaubecken seine Arbeit zu verrichten, im anderen erwischt man unter Umständen das Los als hübsch gestreifter "Schneckenfresser" in einem 54-Liter-Set einziehen zu müssen...

Bernd@aquamax hat gesagt…

Na ja, inzwischen hat sich ja unter "Fachleuten" herumgesprochen, dass die hübsch schwarzgelb gestreiften "Schneckenfresser" besser im Schwarm gehalten werden Das führt aber nicht immer zur logischen Empfehlung, mehr Tiere UND ein sehr viel größeres Aquarium anzuschaffen.
Manche kommen sogar auf so abstruse Ideen, z. B. einen "Kugelfisch-Verleih" zum Schneckenfressen ins Leben zu rufen.

Yara hat gesagt…

Super Artikel!
Ich kann so manche Kritik schon nachvollziehen, wenn mel eben eine Saugschmerle ins 54l Becken gesetzt wird weil die Schnecken Überhand nehmen, Makropoden in kleinen Aquarien angeschafft werden weil es heißt, sie beenden die Planarienplage, o.ä. Man sollte sich schon langfristige Gedanken machen und Informationen einholen, bevor man sich Tiere ins Aquarium holt. Und 'Funktionstiere' sind sie wirklich alle - ob sie nun nur die Funktion erfüllen, uns zu gefallen, oder Algen oder Schnecken fressen. Ich achte immer darauf, dass ich dort schwimmen habe, was ich möchte, aber zugleich auch eine gewissen Ausgewogenheit herrscht, so z.B. einige Welse, Garnelen und Schnecken auch 'aufräumen' oder teilweise Algen fressen, Turmdeckelschnecken den Boden durchwühlen, sie erfüllen alle ihre 'Funktion' und erhalten somit ein stabileres Gleichgewicht. Nichts desto Trotz gefallen sie mir alle und wurden nicht alleine aus dem Grund angeschafft, weil sie irgendeine Aufgabe erfüllen, die ich zu faul oder zu dumm bin selbst zu bewältigen. Und das wichtigste, alles muss zum übrigen Besatz und den Lebensbedingungen passen.